Europäische „Ich-AG“ ist No-Go auf voller Länge

 12. Dezember 2014

Hinter dem jüngsten Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue EU-weite Gesellschaftsform für Unternehmen verbergen sich ernstzunehmende Gefahren: Umgehung nationaler Standards, Förderung von Scheinselbstständigkeit sowie mangelnde MitarbeiterInnenmitbestimmung. Der Entwurf für die europäische „Ich-AG“ birgt ordentlich Zündstoff – kein Wunder, dass Kritik vor allem aus Gewerkschafts- und ArbeitnehmerInnenkreisen kommt.

Erklärtes Ziel der „Ich-AG“ ist es, Erleichterungen für KMUs bei Unternehmensgründungen im europäischen Ausland zu schaffen. Jede natürliche oder juristischePerson kann eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gründen und unabhängig vom Ort der Registrierung uneingeschränkt in der Union tätig sein – ohne Mindestkapital, ohne Kontrolle des Gründers bzw. der Gründerin sowie ohne Vorgaben zur inneren Ordnung. Durch diese Erleichterungen sollen laut Kommission jährlich zwischen 21 und 58 Mio EURO eingespart werden.

Deckmantel für Umgehung von Standards

Die zentralen Gefahren und Hauptproblempunkte der „Ich-AG“ sind die geplante Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz des Unternehmens und die damit einhergehende Möglichkeit der Umgehung nationaler Standards und steuerrechtlicher Regelungen. Der Vorschlag ist geradezu als Einladung zur Scheinselbständigkeit zu verstehen. Es handelt sich exakt um jene massiven Probleme, gegen die wir uns seit Jahren einsetzen. Einmal mehr ein Grund, die Arbeitsweise der Europäischen Kommission zu hinterfragen – ganz neu sind diese Ideen nämlich nicht.

Nichts Neues

Bereits 2008 legte die Europäische Kommission einen ähnlichen Gesetzesentwurf vor: Die sogenannte „Europäische Privatgesellschaft“ traf auf enormen gewerkschaftlichen Widerstand und wurde schließlich von der Kommission zurückgezogen. Als vor zwei Jahren erneut Konsultationen begannen, waren es zunächst nur VertreterInnen der Wirtschaft, denen die Möglichkeit der Stellungnahme und des Austauschs gegeben wurde – Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen wurde diese Möglichkeit verwehrt.

Mitbestimmungsrechte gestrichen

Der aktuelle „Ich-AG“-Vorschlag gefährdet die Rechte von ArbeitnehmerInnen, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsrat von Unternehmen. Denn die „ArbeitnehmerInnenmitbestimmung“ taucht im Entwurf überhaupt nicht auf. Auch auf KonsumentInnen- und GläubigerInnenseite gibt es viele offene Fragen. Die Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz erschwert die Durchsetzung berechtigter Ansprüche von GläubigerInnen. Mangels einheitlichen Unternehmensregisters ist es für KonsumentInnen äußerst schwierig zu erkennen, mit welcher der 28 Formen der „Ich-AG“ sie es zu tun haben und nach welcher nationalen Rechtsordnung sich ihre Ansprüche richten müssen. Rechtsmissbrauch scheint somit vorprogrammiert, auch durch Großkonzerne, die mithilfe der neuen Gesellschaftsform Tochterunternehmen im Ausland gründen, um etwa nationale Mindeststandards oder steuerrechtliche Regelungen zu umgehen.

Nächste Schritte

Mag der Anwendungsbereich noch so gering sein, dieser Vorschlag droht einen Präzedenzfall zu schaffen, der die Eckpfeiler des internationalen Gesellschaftsrechts zu umgeht. Der Vorschlag muss dem Rat und dem Europäischen Parlament zur Beratung und Verabschiedung vorgelegt werden. Im EU-Parlament setze ich mich als Schattenberichterstatterin der S&D Fraktion mehr als kritisch in dieser hitzigen Auseinandersetzung mit dem Thema auseinander. Die Zielsetzung der Kommission, den Binnenmarkt zu stärken und mehr Beschäftigung zu erreichen ist wichtig. Mit diesem Vorschlag aber droht dies daneben zu gehen. Einen Anstieg der Beschäftigungsrate kann man anders erreichen. So wie der Vorschlag derzeit ist, kann die sozialdemokratische Fraktion nicht zustimmen. Es wäre die Dienstleistungsrichtlinie neu aufgerollt. Dies widerspricht unseren Grundsätzen.