Ablehnung des Kommissionsvorschlages für eine neue EU-Dienstleistungskarte
„Die Europäische Union hat noch kein stabiles soziales Fundament. Dieser Konstruktionsfehler holt uns immer wieder ein, so auch bei der Entsenderichtlinie. Mehr als zwanzig Jahre nach Erlass der Entsenderichtlinie bietet sie immer noch keinen effektiven Schutz der entsandten Arbeitnehmer, sie fördert Lohndumping vor Ort, und sie ermöglicht das Aushöhlen der Sozialversicherungssysteme und lässt unfairen Wettbewerb auf Kosten der ArbeitnehmerInnen zu“, sagt Evelyn Regner, Delegationsleiterin der SPÖ-EU-Abgeordneten. Im EU-Parlament überarbeiten wir derzeit den 2016 präsentierten Vorschlag, der die soziale Schieflage der Entsenderichtlinie ausgleichen soll. Dieser geht jedoch viel zu wenig weit, um entsandte ArbeitnehmerInnen vor Ausbeutung zu schützen und damit auch dem Lohnwettbewerb gegenüber den ArbeitnehmerInnen vor Ort zu entschärfen.
„Wir fordern seit langem eine Verschärfung der Entsendungsrichtlinie, die das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort in Theorie und Praxis umsetzt. Leider enttäuscht der vorliegende Entwurf der EU-Kommission in mehreren Punkten. Wir fordern ein klares Bekenntnis zum ehrlichen Kampf gegen Sozial- und Lohndumping“, sagt Josef Muchitsch, der Vorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, der aktuell in Brüssel ist, um sich bei den Institutionen für eine fairere Entsenderichtlinie einzusetzen. „Es scheint, die Kommission nimmt die Arbeiten an einem sozialeren und faireren Europa nicht ganz ernst. Während wir die Entsendungen fairer gestalten wollen, bringt sie das Herkunftslandprinzip mit einer elektronischen Dienstleistungskarte für Dienstleistungserbringer, die auch auf Entsendungen Anwendung finden sollte, zurück, was scheinselbstständige ArbeitnehmerInnen legalisieren und in die endgültige Scheinselbstständigkeit drängen würde, sagt Regner und ergänzt: „Wir haben soeben bei der Entsenderichtlinie die Ausweitung ihrer Rechtsgrundlage empfohlen. Das klingt zwar kompliziert, wäre aber ein wichtiger Fortschritt. Das bedeutet, dass die Entsenderichtlinie nicht nur auf den Binnenmarktfreiheiten aufbaut, sondern dem Ziel des ArbeitnehmerInnenschutzes und der Arbeitsbedingungen dienen muss. So können EuGH-Urteile wie Viking, Laval, Rüffert & Co der Vergangenheit angehören. Durch diese schadhaften Interpretationen des Gerichtshofes wurden nationale Mindeststandards und –löhne als Höchststandards interpretiert und das ermöglichte den Unternehmen ihren unfairen Wettbewerb durch Lohn- und Sozialdumping zu betreiben. Wichtig ist auch, dass der künftige Schutz der Entsenderichtlinie innerhalb der Unterauftragskette greift. Heute geben Unternehmen oft den Lohndruck an SubunternehmerInnen weiter und sind dann fein heraus, wenn es am Ende der Auftragskette zu Lohndumping kommt.“
„Ich sperre mich nicht prinzipiell gegen Entsendungen, doch dafür müssten die gleichen Bedingungen herrschen wie für die Firmen im Zielland. Laut derzeitiger Regelung kann eine Firma Arbeitnehmer für bis zu 183 Tage im Jahr in ein anderes EU-Land entsenden. Es müssen zwar gleiche Löhne wie im Zielland gezahlt werden, die Lohnnebenkosten würden jedoch nach dem Entsendestaat berechnet. In osteuropäischen Ländern sind diese Nebenkosten deutlich niedriger als in Österreich. Dadurch ergibt sich für die Entsendefirmen ein legaler aber unfairer Wettbewerbsvorteil. Doch auch die vorgeschriebenen gleichen Löhne für entsendete Arbeitnehmer werden von den ausländischen Firmen oft nicht bezahlt: Bei Baustellenkontrollen wurden bei 0,9 Prozent der inländischen Firmen, aber bei fast jeder zweiten ausländischen Firma Verdachtsfälle von Unterentlohnung von den Kontrollorganen der BUAK festgestellt. Ich fordere, dass sämtliche Lohnnebenkosten ab dem ersten Tag in Österreich eingehoben und an die Sozialversicherungsträger der Herkunftsländer abgeliefert werden. Damit schaffen wir eine Win-Win-Situation zwischen Herkunftsland und Empfängerland. So verbessern sich durch die höheren Sozialversicherungsabgaben im Herkunftsland die Leistungen für ArbeitnehmerInnen und in Österreich schaffen wir damit einen transparenten und fairen Wettbewerb“, sagt Josef Muchitsch.
„Es reicht aber nicht, die Entsenderichtlinie zu reparieren, wir brauchen einen neuen Ansatz. Denn die EU-Kommission versucht permanent, die bisherigen Regelungen auszuhöhlen. So führt beispielsweise der Vorschlag, eine Dienstleistungskarte in der Baubranche einzuführen, das Herkunftslandprinzip, das das EU-Parlament mühsam in der Bolkestein-Richtlinie verhinderte, durch die Hintertür wieder ein. Falls die Dienstleistungskarte kommt, wird sie der einzig nötige Nachweis, dass die gesetzlichen Bestimmungen für eine Entsendung im Aufnahmeland erfüllt sind. Für die Prüfung ist aber das Herkunftsland zuständig, dem die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen im Aufnahmeland naturgemäß sehr egal sind. Hier untergräbt die Kommission, was sie andernorts aufbaut. Wir brauchen aber ein stabiles soziales Fundament für die EU. Wenn die EU-Kommission lieber den schiefen Turm von Pisa bauen will, muss sie sich nicht wundern, wenn akute Einsturzgefahr für das europäische Projekt besteht. Ich werde deshalb alles tun, um diese unsoziale Dienstleistungskarte zu verhindern. Was wir stattdessen brauchen, ist eine europäische Sozialversicherungskarte, die es jederzeit ermöglicht zu überprüfen, ob ArbeitnehmerInnen in einem europäischen Versicherungssystem sind oder nicht“, sagt Regner. „Fakt ist, das bestätigen alle ExpertInnen, dass durch die EU-Dienstleistungskarte Scheinselbstständigkeit und Briefkastenfirmen einen ‚Freibrief‘ erhalten. Österreich ‚leidet‘ noch immer unter der Dienstnehmerfreizügigkeit, jetzt auch noch eine nicht regulierte Dienstgeberfreizügigkeit zu ermöglichen, vernichtet seriöse Unternehmen und Arbeitsplätze in Österreich“, sagt Muchitsch.