In den letzten drei Wochen haben wir EU-Abgeordnete die designierten KomissarInnen auf Herz und Nieren geprüft. Die slowenische Kandidatin Alenka Bratušek , zuständig für Energie-Union wurde von uns abgelehnt. Andere designierte EU-KommissarInnen waren unserer Ansicht nach nicht für ihr ursprünglich vorgesehenes Portfolio geeignet, sodass Kompetenzen neu verteilt werden mussten.
Diese Anhörungen (Hearings) sind einzigartig und vom Europäischen Parlament lange erkämpft. Nationale Regierungsmitglieder müssen sich solchen Anhörungen nicht stellen.
Was sind Anhörungen
Die designierten EU-Kommissarinnen und Kommissare müssen sich in einer dreistündigen öffentlichen Anhörung vor dem zuständigen Ausschuss oder dem gesamten Europäischen Parlament, falls es sich um Kommissions-Vizepräsidenten handelt, den Fragen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments stellen. Die Abgeordneten prüfen die drei Dinge: Die europäischen Werte, die fachliche und politische Kompetenz und Vorhaben für die kommenden fünf Jahre. Überzeugt ein Kandidat oder eine Kandidatin nicht, gibt es verschiedene Verfahren: Es kann einerseits eine schriftliche Nachfrage der Ausschüsse an die designierten EU-Kommissare stattfinden, wenn einzelne Teilbereiche generell nicht oder nicht zur vollsten Zufriedenheit beantworten wurden. Die zweite und deutlich drastischere Möglichkeit ist das „Nachsitzen“ der designierten EU-Kommissare. Dies bedeutet, dass sich der Kandidat/ die Kandidatin wie der Brite Lord Jonathan Hill, erneut den Fragen des Parlamentes stellen muss.
Das Europäische Parlament spielt als einzig direkt demokratisch legitimierte Institution bei der Besetzung der neuen Europäischen Kommission eine besondere Rolle. Am 22. Oktober 2014 in Straßburg fand die Abstimmung zur Europäischen Kommission statt. (Abstimmungsergebnis) Die Abgeordneten konnten nicht einzelne Kommissare an diesem Tag ablehnen, sondern nur die Kommission als Ganzes unterstützen oder eben nicht. Es konnten jedoch im Vorfeld der Anhörungen einzelne Kommissare, wie die Slowenin Alenka Bratušek, ausgetauscht werden.
Das Besondere an dieser Kommission 2014-2019 wird die starke demokratische Legitimation sein. Die Fraktionen im Europäischen Parlament haben sich im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament darauf geeinigt, dass die aus den Wahlen hervorgegangen stärkste Fraktion den Kommissionspräsidenten stellen wird. Bisher wurde dieser von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten hinter verschlossenen Türen bestimmt.
Der neue Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker aus Luxemburg hat diese völlig umstrukuriert. Es gibt von den 28 KommissarInnen sieben Vize-PräsidentInnen, die für eine stärkere Koordinierung der Politikbereiche sorgen und den Kommissaren „vorgesetzt“ sind. Junckers rechte Hand wird der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans, der sogenannter „Erste Vize-Präsident“ werden wird.
Anmerkungen zum Hearing einiger Kommissarinnen und Kommissare
Frans Timmermans
Die niederländische Regierung hat den Sozialdemokraten Frans Timmermans vorgeschlagen. Er soll zukünftig als rechte Hand von Kommissionspräsident Juncker für den Bereich bessere Rechtsetzung zuständig sein. Darüber hinaus hat er eine Wächterfunktion inne und wird über die in der Grundrechtecharta verankerten Werte und die Rechtsstaatlichkeit in allen Tätigkeiten der Kommission wachen. Auf unseren Druck hin, hat mit Frans Timmermans ein Vizepräsident die Kompetenz über den Bereich Nachhaltigkeit erhalten, der somit einen höheren Stellenwert erhält. Timmermans dient nun als „Aufpasser“ für den umstrittenen spanischen Konservativen Miguel Arias Canete, der für das Ressort Energie und Klima zuständig ist. Die rechte Hand Junckers lieferte eine fraktionsüberzeugende Performance bei seiner Anhörung ab. Er möchte ein verpflichtendes Lobby-Register unter Einbeziehung aller drei Europäischen Institutionen einführen, welches unsere Fraktion bereits seit der letzten Legislaturperiode fordert. Kritisch sehen wir GewerkschafterInnen jedoch das Thema Better Regulation, genauer gesagt das „Projekt“ REFIT. Dort muss Timmermans kritisch auf die Finger geschaut werden, wenn auf keinen Fall dürfen dadurch Arbeitnehmerschutzstandards unterlaufen werden. Wir sind auf eine friedliche Verhandlungslösung aus.
Johannes Hahn
Der bisherige österreichische Kommissar für Regionalpolitik und nunmehrige Kommissionskandidat für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen absolvierte seine Anhörung ohne größere Zwischenfälle.
Das wichtigste Thema war die Lösung der Ukrainekrise und die Beziehungen zu Russland. Hier pochte er auf die territoriale Integrität der Ukraine, stand einer Dezentralisierung im Hinblick auf die umkämpften Gebiete im Osten positiv gegenüber. Er will den Dialog mit Russland forcieren und auf eine diplomatische Lösung hinarbeiten.
Marianne Thyssen
Sie ist die belgische Kommissionskandidatin für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten, Qualifikationen und Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Thyssen steht mit diesem Portfolio vor großen Herausforderungen und blieb in vielen Belangen eher vage.
Sie vermittelte glaubwürdig, dass ihr der Einsatz gegen Jugendarbeitslosigkeit ein zentrales Anliegen ist, gab aber klare Zusagen für bindende Maßnahmen und für die Aufstockung der Mittel für die Jugendgarantie. Konkreter hätte sie bei Verbesserungsvorschlägen für die größtenteils prekäre Lage entsendeter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein sollen. Einer längst überfälligen Revision der Entsenderichtlinie stimmt sie nicht zu, sondern spricht lediglich von einer gezielten Überprüfung.
Vorsichtig positiv ist zu sehen, dass Thyssen soziale Aspekte und Indikatoren bei ihren Bewertungen größeres Gewicht verleihen will, vor allem im Europäischen Semester. Für diesen progressiven Zugang wird sie aber auch die Zustimmung ihrer Kommissionskolleginnen und -kollegen benötigen.
Sie will zukünftig die Einbindung der Sozialpartner und den sozialen Dialog stärken.
Beim Thema Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, will sie mit mehr Lohntransparenz die Lohnschere schließen.
Wir SozialdemokratInnen werden die neue Kommissarin jedenfalls daran messen, ob ihre Taten auch ihren und Junckers Versprechungen entsprechen. Das gilt insbesondere für den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping.
Jyrki Katainen (Finnland) und Valdis Dombrovskis (Litauen), beide EVP, werden ebenfalls eine entscheidende Rolle in den Bereichen Beschäftigung und Soziales spielen. Als Vize-Präsidenten werden sie eng mit Marianne Thyssen zusammenarbeiten und sich untereinander abstimmen müssen.
Katainen, zuständig für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit, beharrt zwar darauf, Staatsschulden unbedingt abzubauen. Damit bleibt er seiner „austeritätsfreundlichen“ Linie treu, die er als finnischer Ministerpräsident hatte. Gleichzeitig betonte er aber im Hearing mehrmals, wie wichtig ihm Investitionen sind. Besonders eine Zusage lässt hoffen: Katainen spricht bei mehr Flexibilität beim EU-Haushalt und vor allem in Bezug auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt, wodurch wiederum mehr Investitionen zur Ankurbelung der Wirtschaft ermöglihct werden sollen. Daran werden wir ihn mit Sicherheit erinnern und dementsprechende Vorschläge einfordern.
Dombrovskis war ebenfalls Ministerpräsident und wird für die Bereiche Euro und Sozialer Dialog verantwortlich sein. Zwar hat Dombrovskis bisher keine echten Erfahrungen mit dem Sozialen Dialog gesammelt. Aber in der Anhörung und in privaten Gesprächen zeigte er sich gewillt, den Europäischen Sozialen Dialog zu forcieren und die Sozialpartner zu stärken. Auf die Frage nach dem Sozialpartnerabkommen für Gesundheitsschutz von FriseurInnen, das ja von der bisherigen Kommission blockiert wird, blieb er eine klare Antwort schuldig.
Alenka Bratušek
Die slowenische Kandidatin als Vizepräsidentin und zuständige für den Aufbau einer Energieunion kam nach einer schwachen Anhörung unter Druck und zog letzten Endes selbst ihre Kandidatur zurück. Sie stand bereits aufgrund der Art ihrer Nominierung in der Kritik. So hatte sie sich als scheidende Ministerpräsidentin Sloweniens de facto selbst für den Posten nominiert. Stattdessen wurde von Slowenien die derzeitige Entwicklungsministerin Violeta Bulc ins Rennen geschickt.
Violeta Bulc
Auch nach dem Stresstest ist die nachgerückte slowenische Kandidatin umstritten, wurde jedoch vom zuständigen Verkehrsausschuss bestätigt. Sie hatte nur wenige Tage Zeit, sich einerseits auf den Verkehrsbereich vorzubereiten, andererseits die ihr immer vorgeworfene politische Unerfahrenheit zu „kaschieren“. Angesichts der kurzen Vorbereitungszeit hat sie eine passable Figur angegeben. Sie will aktiv gegen Lohn- und Sozialdumping im Verkehrsbereich vorgehen.
Pierre Moscovici
Der französosche Sozialist war bis vor Kurzem Wirtschafts- und Finanzminister der Grande Nation. Moscovici wird eines der Schlüsselressorts bekleiden, nämlich Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll. Vor allem die konservativen und liberalen Abgeordneten haben Moscovici in seiner Anhörung stark kritisiert, da er als verantwortlicher Minister die Defizitziele nicht eingehalten habe. Dennoch konnte er sich die Zustimmung der zuständigen Ausschüsse sichern und wird künftig eine wichtige Rolle innerhalb der Kommission einnehmen. Umso wichtiger ist es, dass dieses Amt von einem Sozialdemokraten geführt wird. Das kann durchaus als ein Richtungswechsel zur bisherigen Ausrichtung der Komission in Wirtscahfts- und Finanzfragen gesehen werden. Eine große Herausforderung für Moscovici wird es jedenfalls sein, dafür zu sorgen, dass die Finanzstransaktionssteuer endlich eingeführt wird.
Jonathan Hill
Lord Hill ist für das Portfolio Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion zuständig. Bei seiner ersten Anhörung machte er eine enttäuschende Figur, indem er viele konkrete Fragen zu den Bereichen Bankenregulierung, Regulierung der Finanzmärkte, Geldwäsche oder der Einführung von Eurobonds unbeantwortet ließ. Unbefriedigend für uns SozialdemokratInnen war ganz klar seine Zurückhaltung beim gemeinsamen Einlagensicherungssystem. Daher musste er in einer zweiten Anhörung „Nachsitzen“ und sein Ressort wird nun eingeschränkt und beinhaltet Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion. Es bleibt jedoch unklar, wie er Großbritannien bei heiklen Finanzthemen ins Boot holen will.
Věra Jourová
Die tschechische Liberale, Kommissionanwärterin für das Justizportfolio konnte in ihrer Anhörung uns SozialdemokratInnen nicht überzeugen. . Frau Jourová fehlte politische Sensibilität und blieb bei ihren Antworten zu wage, sodass schriftlich nachgefragt wurde und sie vermehrt auf die für uns wichtigen Punkte im Gesellschaftsrecht wie der Sitzverlegung von Gesellschaften, Mitbestimmung, Umgehung von Sozialstandards eingehen musste. Schlussendlich gab es grünes Licht von unserer Seite.
Tibor Navracsics
Der ehemalige ungarische Vizepremier, Kandidat für das Portfolio „Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft“, ist wegen der Vorgänge um das ungarische Mediengesetz umstritten. So gilt er als der Drahtzieher eines ungarischen Gesetzes, das die Medienfreiheit in Ungarn einzuschränken droht. Es wurden ihm wichtige Kompetenzen weggenommen, jedoch bleibt ein schaler Nachgeschmack, bei dem wichtigen Dossier Kultur.